
Direkt an der Bahnlinie Zürich–Romanshorn betreibt Stadler Rail im thurgauischen Erlen ihr Inbetriebsetzungszentrum. Eine riesige Halle, 40 Meter breit und 220 lang, beherbergt sieben Testgeleise für die bis 200 Meter langen Züge von Stadler Rail. Das Schweizer Unternehmen gehört zu den führenden Herstellern von Schienenfahrzeugen und hat weltweit fast zwanzig Niederlassungen.
In Erlen werden sämtliche Fahrzeuge, die an den Schweizer Standorten Bussnang und Altenrhein gefertigt werden, geprüft und in Betrieb genommen. Stadler liefert ihre Fahrzeuge in die ganze Welt. Zu den bekanntesten Modellen gehören die Triebzüge FLIRT (Flinker Leichter Innovativer Regional Triebzug) und KISS (Komfortabler Innovativer Spurtstarker S-Bahn-Zug).
Bei unserem Besuch in Erlen werden gerade drei FLIRT für die Serbian Railways in Betrieb genommen. In der riesigen Halle wird einem klar, welche logistische und technische Meisterleistung der Bau eines solchen Zuges ist. Stadler Mitarbeitende beugen sich im FLIRT für Serbien über offene Schaltschränke, schliessen die Beleuchtung an oder machen mit ihren Laptops Software-Tests. Ein Gleis weiter wird gerade eine doppelstöckige KISS-Komposition mit der Poliermaschine auf Hochglanz gebracht.
Daniel Lusti, Abteilungsleiter Inbetriebsetzung bei Stadler, erklärt: «Viele unserer Mitarbeitenden begleiten die Züge während der Fertigung in Bussnang oder Altenrhein bis zur Inbetriebnahme hier in Erlen.» So seien durchschnittlich 120 Mitarbeitende im Inbetriebsetzungszentrum beschäftigt.
Mit der Auslieferung eines Zuges ist es für Stadler noch nicht getan. Mit dem eigenen Fernanalysesystem RDS (Rail Data Service) überwacht Stadler seine Züge während der gesamten Garantiezeit. RDS liefert Diagnose- und Betriebsdaten sowie Prozesswerte und speichert diese in einer Flottendatenbank. Diagnosedaten sind für Stadler zum Beispiel Meldungen oder Fehler eines Zuges, Prozessdaten umfassen Daten wie die Zuggeschwindigkeit oder den Zustand des Stromabnehmers und Betriebsdaten geben zum Beispiel Auskunft über die Anzahl Betriebsstunden, die Anzahl Türöffnungen oder die gefahrenen Kilometer. Mit diesen nützlichen Felddaten kann Stadler technische Probleme frühzeitig erkennen. Andreas Büchi, der als RDS-Produktmanager ein Team von 10 Informatikern leitet, sagt: "RDS gibt uns sehr genaue Informationen über den Zustand unserer Züge." Das System erkennt potenzielle Schwachstellen und verkürzt die Zeit, die wir zum Eingreifen benötigen.
Zudem können Instandhaltungsintervalle mit RDS genau geplant werden. Gemäss Büchi gibt es zahlreiche Kunden, die nicht über Ersatzrollmaterial verfügen. Entsprechend seien diese Kunden darauf angewiesen, dass sämtliche Instandhaltungsarbeiten während der Wendezeit eines Zuges oder in der Nacht durchgeführt würden. Mit RDS sind solche zeitkritischen Arbeiten genau planbar. Entsprechend bietet Stadler Rail das Fernmesssystem nach der Garantiezeit als Managed Service an, was zunehmend mehr Kunden nutzen. Büchi sagt: «Aktuell sind 600 Stadler Fahrzeuge mit RDS ausgestattet.»
Nicht nur die Fahrzeug- und Flottendiagnose baut auf RDS auf, sondern auch das Stadler eigene Eco-Driving-System. Dieses fördert die energieoptimierte Fahrweise und verfügt über die drei Hauptfunktionen Messen, Anzeigen, Empfehlen. Mit Eco-Driving sind Bahnbetreiber und Fahrzeugführer in der Lage, Energie und Geld zu sparen. Zudem wird mit Eco-Driving der Verschleiss verringert und die Pünktlichkeit gefördert.
Künftig will Stadler weitere Services auf Basis von RDS lancieren. Büchi sagt: «RDS bietet die ideale Plattform, um unseren Kunden mittels Remote Services die Instandhaltung ihrer Fahrzeuge zu erleichtern.»
Fahrzeugseitig wird RDS auf der sogenannten RCU (Rail Communication Unit) installiert. Auch wenn RDS nicht sicherheitsrelevant ist, muss die RCU die hohen Anforderungen der Bahnindustrie nach EN50155, Klasse TX erfüllen. Entsprechend hat sich Stadler für ein Gerät der europäischen Embedded-Spezialistin Syslogic entschieden, das eigens für Railway-Anwendungen entwickelt wurde. Die Syslogic Rechner weisen einen galvanisch getrennten Speisungseingang auf und verfügen über verschraubbare M12-Stecker. Zudem sind sie für eine Speisespannung von 16,8 bis 45 Volt ausgelegt und halten den bahntypischen Speisungsschwankungen stand. Zur Positionsbestimmung und Datenübertragung sind die Railway Computer mit GPS- und GSM/UMTS-Funktionen ausgestattet. Mit vielseitigen Schnittstellen wie RS232, RS422/RS485, CAN und Ethernet ist zudem eine flexible Systemanbindung möglich.
Ein wichtiges Kriterium bei der Evaluation der Railway Computer war der erweiterte Temperaturbereich von –40 bis +75 Grad. Andreas Büchi sagt dazu: «Unsere Züge kommen weltweit zum Einsatz, extreme Temperaturen sind an der Tagesordnung.» Gerade seien erste KISS-Kompositionen nach Russland ausgeliefert worden, wo Kaltstarts bei sehr tiefen Temperaturen vorkämen, sagt Büchi. Um sicherzugehen, dass die Rechner auch unter russischen Bedingungen tadellos funktionieren, hat Syslogic Tests nach der russischen GOST-Norm durchgeführt, welche Kaltstarts bei –50 Grad Celsius beinhalten.
Die Bahnnorm schreibt nicht nur den Temperaturbereich, sondern auch die Schock- und Vibrationsresistenz vor. Syslogic garantiert bei ihren Bahnrechnern eine hohe Funktionssicherheit bei ständigen Vibrationen. Erreicht wird das einerseits durch ein cleveres Design, das komplett auf bewegliche Teile verzichtet, und andererseits durch ausgeklügelte Testalgorithmen. Dank den verschiedenen Tests, die jedes Syslogic Produkt durchläuft, werden potenzielle Feldausfälle drastisch minimiert. Entsprechend gehören die Syslogic Railway Computer zu den zuverlässigsten und robustesten am Markt und eignen sich damit gut für den Rolling-Stock-Einsatz.
Ein Kriterium, das schlussendlich ausschlaggebend war, dass sich Stadler für Syslogic entschieden hat, ist die lange Verfügbarkeit. Andreas Büchi sagt: «Das Vorgängerprodukt eines anderen Lieferanten wurde nach wenigen Jahren wider Erwarten abgekündigt, was uns sehr enttäuscht hat.»

Züge haben laut Büchi in der Regel eine Lebensdauer von 30 Jahren und mehr. Deshalb ist die Langzeitverfügbarkeit für Stadler ein zentraler Punkt, denn willkürlich abgekündigte Geräte führen zu zeit- und kostenintensiven Umrüstungen. Syslogic beliefert die Bahnbranche seit Jahren, und die Erfahrung zeigt, dass die Produkte des Unternehmens weit über zehn Jahre hinaus verfügbar sind. So kann Syslogic heute noch Computer aus den achtziger Jahren liefern.
Florian Egger, Vertriebsleiter bei Syslogic, sagt: "Wir können auf Wunsch 20 Jahre Form, Passform und Funktion liefern." Bei Syslogic wird laut Egger bereits in der Entwicklungsphase auf eine längere Verfügbarkeit der Produkte geachtet. Das Unternehmen setzt nur Komponenten ein, die langfristig verfügbar sind. So werden beispielsweise nur Prozessorplattformen verwendet, die in einer embedded aufgeführt sind und eine Verfügbarkeit von zehn Jahren und mehr garantieren. Ein weiterer Grund, warum der Produktlebenszyklus bei Syslogic länger ist als bei anderen Anbietern, liegt in der eigenen Produktion und vor allem in der Fertigungstiefe. Syslogic ist eines der wenigen europäischen Unternehmen im embedded , das seine CPU-Boards selbst bestückt. Das Unternehmen verfügt über eine eigene SMD-Bestückung. Dank dieser Inhouse-Fertigung kann Syslogic im Gegensatz zu anderen Anbietern, die z.B. ein in Asien gefertigtes Board mit einem eigenen Gehäuse veredeln, verlässliche Prognosen zur Verfügbarkeit abgeben.
Aufbauend auf RDS will Stadler seine Service-Dienstleistungen in den nächsten Jahren kontinuierlich ausbauen und so den Kunden einen echten Mehrwert bieten. Die Rückmeldungen der rund 480 Personen, die aktuell mit RDS arbeiten, seien durch und durch positiv, sagt Büchi.
Stadler will die Dienstleistungen in den kommenden Jahren kontinuierlich ausbauen, um den Kunden einen echten Mehrwert zu bieten. Das Feedback der rund 480 Personen, die derzeit mit RDS arbeiten, ist laut Büchi durchwegs positiv.